Um eines gleich vorwegzunehmen: Ich bin befangen. Seit den frühen Neunzigern begleiten mich Amorphis, habe Höhen und Tiefen mitgemacht, die Identitätskrise um die Jahrtausendwende ebenso wie die Trennung von Sänger Pasi Koskinen, die damals fast wie das Ende der Band wirkte. Doch mit der Verpflichtung von Tomi Joutsen kam 2005 die Wende – ein Glücksgriff, der nicht besser hätte sein können.
Nach mehreren starken Alben mit Joutsen kehren Amorphis nun mit Circle zurück – und zum ersten Mal seit langer Zeit haben sie einen externen Produzenten ins Boot geholt: Peter Tägtgren (Hypocrisy, Pain), der dem Album seinen ganz eigenen, fetten und zugleich organischen Sound verpasst hat.
Selten habe ich einem Release so entgegengefiebert. Selbst Kollegen witzelten schon, ich würde die Veröffentlichung kaum überleben vor lauter Spannung. Doch das Warten hat sich gelohnt. Schon der Opener „Shades of Gray“ macht deutlich, dass Amorphis wieder härter zupacken. Fette Rhythmusgitarren, Joutsens Growls in voller Stärke, dazu ein Refrain, der melodisch und hymnisch nach Elegy und Tuonela klingt. Das setzt die Marschrichtung.
Auch die folgenden Stücke zeigen die ganze Bandbreite: „Mission“ verbindet stampfende Rhythmen mit melancholischen Melodien und zieht mit einem treibenden Solo das Tempo an – ein Paradebeispiel für den Amorphis-Sound der letzten Jahre. „The Wanderer“ orientiert sich daran, geht aber stärker in Richtung Prog und Classic Rock. Gut gemacht, wenn auch etwas vorhersehbar. Mit „Narrow Path“ schlagen die Finnen wieder folkigere Töne an – harte Gitarren, Flöten, beinahe wie eine Hommage an Blind Guardian.
Die bereits bekannte Single „Hopeless Days“ mischt Tägtgrens Handschrift hörbar hinein: der dunkle Einstieg klingt fast nach Hypocrisy, bevor der Refrain in klassischer Amorphis-Manier große Melodiebögen spannt. Bis hierhin liefert Circle Abwechslung pur – doch der eigentliche Höhepunkt folgt erst.
Nach einem kurzen akustischen Intro entfaltet „Nightbird’s Song“ all seine Kraft. Eine Death-Metal-Walze, die Erinnerungen an die Frühphase weckt. Tomi growlt hier so tief und brachial, dass selbst Black-Metal-Fans die Ohren spitzen dürften. Der Refrain nach einer clean gesungenen Bridge ist ein Gänsehautmoment, auch nach unzähligen Durchläufen. Und als wäre das nicht genug, taucht sogar ein Flötensolo auf. Ein absolutes Highlight – wuchtig, kompromisslos, und doch melodisch.
„Into the Abyss“ überzeugt mit komplexem Drumming und starkem Refrain, bevor mit „Enchanted by the Moon“ ein weiterer Glanzpunkt folgt. Hier treffen Death-Metal-Riffs auf erhabene Melodien, ein bisschen düsterer Hypocrisy-Flair schwingt mit – ein Song, der sofort hängen bleibt.
Zum Schluss wird es noch einmal experimenteller: „A New Day“ verwebt Saxophon, Kirchenorgel und Flöten zu einem progressiven Finale, das beinahe psychedelisch wirkt und einen Hauch 70er-Jahre-Vibe ins Album bringt.
Und damit zur entscheidenden Frage: Hat sich die Vorfreude gelohnt? Absolut. Circle mag nicht das sein, was Elegy oder Tales from the Thousand Lakes einst für die Bandgeschichte waren, aber es klingt authentisch, kraftvoll und ehrlich – kein verzweifelter Versuch, alte Zeiten künstlich zu beschwören. Stattdessen haben Amorphis es geschafft, ihre heutigen Stärken mit Elementen der Anfangstage zu einem unwiderstehlichen Cocktail zu verbinden.
Ob Circle eines Tages neben den großen Klassikern der Band stehen wird, bleibt abzuwarten. Doch im Hier und Jetzt ist es das stärkste Album seit dem Einstieg von Tomi Joutsen – und eines der besten Werke in der gesamten Diskografie von Amorphis.
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Trackliste:
1. Shades Of Gray (5:27)
2. Mission (4:33)
3. The Wanderer (4:43)
4. Narrowpath (4:23)
5. Hopeless Days (5:08)
6. Nightbird’s Song (5:00)
7. Into The Abyss (5:36)
8. Enchanted By The Moon (5:32)
9. A New Day (6:00)
Fazit
Zusammenfassung
Ob Circle eines Tages auf eine Stufe mit Jahrhundertwerken wie Elegy oder Tales from the Thousand Lakes gestellt werden kann, bleibt abzuwarten. Aber eines ist sicher: AMORPHIS haben mit Circle das stärkste Album seit dem Einstieg von Tomi Joutsen und eines der besten Alben ihrer Geschichte abgeliefert.